Lernen am Ort des Schreckens
Exkursion zur Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers Natzweiler - Struthof
Exkursion der 10. Klassen und 12G der Siebenpfeiffer Realschule Plus in das KL Natzweiler / Elsass
Menschen werden zu Nummern. Sie verlieren ihren Namen, jedes Menschenrecht und ihre Freiheit. Sie werden zu härtester Arbeit gezwungen. Sie werden erniedrigt. Sie werden zu Tode geprügelt. Sie werden für medizinische Versuche missbraucht. Man lässt sie verhungern.
Nachfühlen kann und will man nicht, was die Häftlinge des Konzentrationslagers Natzweiler erleiden mussten. Eine Ahnung davon, welcher Schrecken hier herrschte, eine Vorstellung davon, wie das System der nationalsozialistischen Unterdrückungs- und Vernichtungsmaschinerie funktionierte, muss ein Geschichtsunterricht aber vermitteln, der die Lernenden für die Gefahren totalitärer Ideologien sensibilisieren will.
Ein ambitionierter Unterricht im Klassenraum, methodisch und inhaltlich vielseitig gestaltet, kann in dieser Hinsicht einiges erreichen. Wozu fährt man also mit 15- bis 16-jährigen Jugendlichen zu einer solchen Stätte?
Die Eindrücke, Fragen und Reaktionen der Schülerinnen und Schüler selbst geben eine Antwort darauf. Die Erkenntnis, dass es Orte wie diesen tatsächlich gab. Hier wird sie greifbar. Sie sehen die Baracken, in denen hunderte von Männern und wenigen Frauen auf engstem Raum eingepfercht wurden. Sie betreten die Zellen des sogenannten Zellenblocks, in dem bis zu 20 Häftlinge auf 10 qm eingesperrt wurden und spüren schon nach wenigen Minuten die quälende Enge. Sie gehen den steilen Waldweg zur Gaskammer, die für Menschenexperimente von fragwürdigen „Medizinern“ benutzt wurde.
In 800 Meter Höhe liegt das ehemalige Konzentrationslager, das einst ein beliebtes Ski- und Wandergebiet war. Die Nationalsozialisten beschlagnahmten den „Struthof“ und eröffneten im Mai 1941 das Konzentrationslager, in das Gefangene aus ganz Europa kommen und unter Zwangsarbeit aufbauen. Bis September 1944 durchliefen ungefähr 52 000 Menschen das Lager Natzweiler mit seinen rund 80 Nebenlagen. Etwa 20 000 von ihnen wurden ermordet.
Fünf Abschlussklassen machten sich am 11. März 2025 auf den Weg ins Elsass. Sie begegneten diesem Ort der Geschichte und des Gedenkens mit Respekt und Aufmerksamkeit. An den einzelnen Stationen des Lagers gaben Schülerinnen und Schüler den Lagerinsassen eine Stimme, indem sie aus den Erfahrungsberichten Überlebender vorlasen: Was empfanden die Häftlinge beim Anblick der Kommandantenvilla mit Swimmingpool (!)? Welche Folgen hatte das stundenlange Stehen und Durchzählen beim Appell? Wie waren die Arbeitsbedingungen? Was bedeutete es, im Krematorium zu arbeiten?
Zu diesen und vielen anderen Fragen gab es an dieser Gedenkstätte Antworten, wie sie nur vor Ort möglich sind. Die Lernenden erfahren, dass Hunger, Kälte und Krankheiten ständige Begleiter der Häftlinge waren. Ihre Kleidung konnte sie kaum vor den niedrigen Temperaturen im Winter und der Hitze im Sommer schützen.
„Konnten sie nicht einfach fliehen?“ fragen sich die Schülerinnen und Schüler mit Blick auf die hügeligen Wälder. Ein Modell des ehemaligen Straflagers und die Begehung entlang der Wachtürme und Stacheldrahtzäune machen deutlich, wie ausweglos ein Fluchtversuch war. „Was sind Kapos?“ - „Warum schlägt der Kapo auf den Häftling mit einem Spaten ein?“. Die Fragen zu den Zeichnungen überlebender Häftlinge, die sich die Lernenden bei der Vorbereitung der Exkursion gestellt haben, wurden schon im Unterricht beantwortet. Jetzt, am Ort des Geschehens, vertieft sich das Vorverständnis. Es wird nachvollziehbar, wie es der SS-Lagerleitung gelang, in einem System aus Hunger und Privilegien Häftlinge zu Handlangern zu machen und Opfer auf perfide Weise zu Mittätern.
Nach langen und umfangreichen Umbauarbeiten ist seit letztem Jahr die ehemalige Gaskammer für Besucher zugänglich. „Mediziner“ führten auch hier Experimente an Menschen durch, um die nationalsozialistische Rassentheorie anatomisch zu untermauern. Die Menschen verloren jede Würde und wurden zu Nummern. Ein Ehering und ein Medaillon eines Hinterbliebenen geben den namenlosen Toten ein wenig Menschlichkeit zurück.
Zurück nach Haßloch kamen nachdenkliche und ergriffene Schülerinnen und Schüler, die sich in einem Punkt einig waren:
Wir alle müssen wachsam sein und alles dafür tun, dass Menschenverachtung und Hass nie wieder die Oberhand gewinnen.
Text: Dirk Braun, Rebecca Weisbrod
Fotos: Nathalie Mengler